Reifen-Basics: Was ist Grip und wie entsteht er?

Manchmal sind einfache Fragen ziemlich schwer zu beantworten. Das gilt auch für die Frage, was Grip eigentlich ist und wie Grip entsteht. Wir könnten es uns einfach machen und sagen: „Wenn ich durch die Kurve komme, habe ich Grip. Wenn ich nicht durch die Kurve komme, dann hatte ich wohl keinen Grip“. Aber ganz so simpel ist es natürlich nicht. Gemeinsam mit Michelin klären wir im Folgenden, wie Grip entsteht.

Die Reifen sind die einzige direkte Verbindung zwischen Auto und Fahrbahn. Was Fahranfänger schon während der ersten theoretischen Stunde in der örtlichen Fahrschule lernen, hat für Motorsportler natürlich eine ganz wesentliche Bedeutung. Denn genau deshalb sollten Trackday-Fahrer ihre Reifen den gesamten Trackday über erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Wer seine Reifen im Blick behält, fährt nicht nur sicherer, sondern kann auch zügiger auf der Rennstrecke unterwegs sein.

Der Reifen – ein komplexes Bauteil

Eben weil sie die einzige direkte Verbindung zwischen Fahrzeug und Fahrbahn sind, müssen die Reifen sämtliche Kräfte, die auf sie und das Fahrzeug wirken, übertragen. Während wir die Vertikalkräfte an dieser Stelle vernachlässigen können/wollen, sind es insbesondere die Längskräfte, die in Laufrichtung wirken, und die Seitenkräfte, die quer zur Fahrtrichtung wirken und bei Kurvenfahrt auftreten. Gleichzeitig sind die Reifen das wohl am schwierigsten zu beherrschende Bauteil eines Fahrzeugs, weil sie großen Deformationen ausgesetzt sind und ihre Performance stark von Luftdruck und Temperatur sowie vom Oberflächen- und Verschleißzustand abhängig ist. Gerade aufgrund dieser Komplexität erfordern sie so viel Aufmerksamkeit.

Bild: FT Photography

Wichtige Begriffe: Latsch, Kamm’scher Kreis, Hysterese

  • Reifenaufstandsfläche/Latsch: Die Kraftübertragung findet in den relativ kleinen Kontaktflächen, auch als „Latsch“ bezeichnet, zwischen Reifen und Fahrbahn statt. An dieser Stelle darf ich zur ergänzenden Lektüre auf den Kamm’schen Kreis, ein physikalisches Modell, das die maximal übertragbaren Kräfte eines Reifens beschreibt, verweisen.
  • Viskoelastizität und Hysterese: Die Gummimischung eines Reifens ist „viskoelastisch“, d.h., sie vereinigt Merkmale von festem und zähflüssigem Stoff. Ein Reifen verformt sich bei Krafteinwirkung, geht allerdings nach einer bestimmten Zeit in seinen ursprünglichen Zustand zurück („Hysterese“).

Für den Grip oder die Haftung, insbesondere in Kurven, sind vor allem Adhäsions- und Hysteresekräfte verantwortlich.

Gummihaftung/Adhäsionskräfte

Adhäsionskräfte, oder vereinfacht gesagt „Haftungskräfte“, ergeben sich aus den molekularen Wechselwirkungen im Kontaktbereich Reifen und Fahrbahnoberfläche durch das Gleiten des Gummis. Es entstehen molekulare Verbindungen, die wieder auseinander brechen und erneut entstehen. Dabei wird die Fähigkeit von Molekülen ausgenutzt, durch eletrostatische Ladung andere Moleküle anzuziehen. „Wenn der Gummi mit der Straße in Kontakt kommt, bilden sich elektrostatische Verbindungen, die mit einem Saugnapf-Effekt vergleichbar sind“, präzisiert Nicolas Krast, Test Manager Michelin Europe North.

Wesentliche Voraussetzung für die adhäsive Gummihaftung ist, dass sich der Reifen in direktem Kontakt zur Straße befindet, was aber nur bei trockener Straße der Fall ist. Bei Nässe auf der Fahrbahnoberfläche bildet Wasser einen Trennfilm, sodass die Adhäsionskräfte nicht mehr wirken. Dann bleiben nur noch die Hysteresekräfte in voller Höhe wirksam, die die Haftung erhalten.

Verzahnung/Hysteresekräfte

Hysteresekräfte werden durch Verzahnungseffekte zwischen Reifen- und Fahrbahnoberfläche im Mikro- und Makrobereich aufgebaut. „Im Bereich von Zentimetern und Millimetern kommt es maßgeblich auf die Verzahnung des Gummis in der Oberfläche der Straßen an“, erklärt Jens Kratschmar, Pressesprecher von Michelin. „Also wie stark verbinden sich der Reifen und die Straße mechanisch durch die Beschaffenheit des Gummis und der Rauheit der Straße“.

So viel zur Theorie. Doch wie können wir das Maximum an Grip herausholen? Darauf hat Nicolas Krast die passende Antwort: „Um das maximale Grip-Niveau eines Reifens zu erreichen, muss das richtige Temperaturfenster des Reifens getroffen werden, in dem das Gummi weich genug ist, um sich optimal zu verzahnen, aber gleichzeitig hart genug bleibt, um nicht zu sehr zu walken. Um diese Temperatur zu erreichen und zu halten, spielt der Reifenfülldruck eine große Rolle.“

Mehr zum Thema Luftdruck lest ihr im zweiten Teil unserer Reifen-Basics.