Der Kamm’sche Kreis

Wer sich schon einmal etwas näher mit dem Thema Fahrdynamik auseinandergesetzt hat, wird schnell festgestellt haben: Die Thematik ist ziemlich komplex. Ein bisschen Theorie sollten versierte Trackday-Fahrer aber trotzdem drauf haben. Der Kamm’sche Kreis ist so ein Modell, quasi der Urvater der Fahrdynamik-Modelle!

Beim sogenannten Kamm’schen Kreis, der in der Praxis eigentlich ein Oval ist, handelt es sich um ein theoretisches Fahrdynamik-Modell, das das gemeinsame Haftpotenzial für die Längs- und Querbeschleunigung eines Reifens beschreibt. Man muss kein Physiker sein, um zu wissen: So ein Reifen, egal ob Winterreifen, Semislick oder gar Slick, kann nicht unendlich große Kräfte übertragen. Im Gegenteil: Sobald die Quer- und/oder Längsbeschleunigung den Rand des Kreises überschreitet, geht der Reifen von der Haft- in die Gleitreibung über, verliert also Grip.

Der Kamm’sche Kreis, wie er in der Wikipedia zu finden ist.

Der Rand des Kreises, oder der Radius, entspricht also der zur Verfügung stehenden maximalen Gesamtkraft, die der Reifen übertragen kann. Nun gibt es mehrere Szenarien: Ich kann zum Beispiel maximal bremsen oder maximal beschleunigen und bin dann womöglich schon an der Grenze des Zumutbaren. Ich kann dem Reifen gleichzeitig aber auch sowohl eine Längsbeschleunigung zumuten, als auch eine Querbeschleunigung. Das aber nur in Maßen: Wenn sowohl eine Längsbeschleunigung (egal ob Beschleunigung oder Bremsen) als auch eine Querbeschleunigung auf den Reifen einwirkt, ergibt sich eine resultierende Kraft, die nicht größer als der Rand des Kamm’schen Kreises sein darf. Im Beispiel (siehe Bild oben) ist die Resultierende der Längs- und der Querbeschleunigung bereits am Maximum. Wenn jetzt zum Beispiel noch stärker beschleunigt (unten) oder gebremst (oben) wird, dann wird das Limit des Reifens überschritten.

Ein echter Kurvenräuber: Der Trackdaysport-GT86

Wer auf der Rennstrecke maximal schnell sein will, muss stets im Grenzbereich, also am Rande des Kamm’schen Kreises, fahren. Die Herausforderung liegt also darin, stets den richtigen Kurven-Speed zu finden.

Eher Ei-förmig: Der Kamm’sche Kreis in der Realität. Auf der vertikalen y-Achse: Die Längsbeschleunigung. Auf der horizontalen x-Achse: Die Querbeschleunigung. Bild: Gedlich Racing

Das gilt auch beim Anbremsen von Kurven. „Zu oft hat man sich angewöhnt, manchmal gar noch aus der Fahrschulzeit, dass man nicht lenken darf, solange man bremst. Für schnelles Trackfahren ist das Reinbremsen hingegen unerlässlich, um den richtigen Speed zu erfühlen“, erläutert Sportfahrer-Coach Markus Gedlich.

„Im Coaching messen wir oft die Verteilung der Kräfte, die ein Fahrer während einer Runde produziert“, verrät Markus Gedlich. „Das gibt einen schönen Gesamteindruck, wie ein Fahrer fährt – mehr reinbremsend oder mehr isolierend“, so der Fahrdynamik-Experte.

„Im abgebildeten Fall sieht man, dass der Fahrer entweder relativ viel geradeaus bremst oder maximal Kurve fährt. Der Zwischenbereich zwischen der maximalen Bremsung und der Kurvenfahrt ist nicht besonders befüllt. Der Fahrer bremst also wenig in die Kurven hinein. Ich finde das Beispiel ganz anschaulich, nimmt es dem mysteriösen Kamm’schen Kreis doch etwas den theoretischen Charakter und zeigt, das es sich eher um ein Kamm’sches abgeplattetes Ei handelt“, findet Markus.


Markus Gedlich veranstaltet mit seinem Unternehmen „Gedlich Racing“ Trackdays in ganz Europa, unter anderem auf dem Circuito Ascari und auf dem brandneuen Circuito Espana. Als Tourenwagen- und GT-Rennfahrer setzt er bei seinen Events einen besonderen Schwerpunkt auf intensive 1:1-Fahrercoachings.

Auf Trackdaysport.de gibt Markus als Fahrdynamik-Experte zusammen mit Moritz Nolte regelmäßig Tipps und Tricks zur Fahrtechnik.