Wer sich schon einmal eingehender mit dem Thema Kurvenfahren beschäftigt hat, der weiß: Die Thematik ist wahnsinnig komplex. So komplex, dass man beinahe ein Physik-Studium braucht, um sie hinreichend zu verstehen. Wir lassen die Kirche aber mal im Dorf und gehen das Thema etwas praxisorientierter an.
Hilfreich ist dabei der sogenannte Kamm’sche Kreis, oder besser: Das Kamm’sche Oval, das es in Wirklichkeit eher ist. Dabei handelt es sich um ein theoretisches Fahrdynamik-Modell, das das gemeinsame Haftpotenzial für die Längs- und Querbeschleunigung eines Reifens beschreibt. Man muss kein Physiker sein, um zu wissen: So ein Reifen, egal ob Winterreifen, Semislick oder gar Slick, kann nicht unendlich große Kräfte übertragen. Bezogen auf den Kamm’schen Kreis bedeutet das: Sobald die Quer- oder Längsbeschleunigung den Rand des Kreises überschreitet, geht der Reifen von der Haft- in die Gleitreibung über, verliert also Grip.
Der Rand des Kreises oder der Radius entspricht also der zur Verfügung stehenden maximalen Gesamtkraft, die der Reifen übertragen kann. Nun gibt es mehrere Szenarien: Ich kann zum Beispiel maximal bremsen oder maximal beschleunigen und bin dann womöglich schon an der Grenze des Zumutbaren. Ich kann dem Reifen gleichzeitig aber auch sowohl eine Längsbeschleunigung zumuten, als auch eine Querbeschleunigung. Das aber nur in Maßen: Dabei ergibt sich eine resultierende Kraft, die nicht größer als der Rand des Kamm’schen Kreises sein darf. Im Beispiel (siehe Bild oben) ist die Resultierende der Längs- und der Querbeschleunigung bereits am Maximum. Wenn jetzt zum Beispiel noch stärker beschleunigt (unten) oder gebremst (oben) wird, dann wird das Limit des Reifens überschritten.
Wer auf der Rennstrecke maximal schnell sein will, muss stets im Grenzbereich, also am Rande des Kamm’schen Kreises, fahren. Die Herausforderung liegt dabei auch darin, den richtigen Kurven-Speed zu finden.
Das gilt auch beim Anbremsen von Kurven. „Zu oft hat man sich angewöhnt, manchmal gar noch aus der Fahrschulzeit, dass man nicht lenken darf, solange man bremst. Für schnelles Trackfahren ist das Reinbremsen hingegen unerlässlich, um den richtigen Speed zu erfühlen“, erläutert Sportfahrer-Coach Markus Gedlich.
„Im Coaching messen wir oft die Verteilung der Kräfte, die ein Fahrer während einer Runde produziert“, verrät Markus Gedlich. „Das gibt einen schönen Gesamteindruck, wie ein Fahrer fährt – mehr reinbremsend oder mehr isolierend“, so der Fahrdynamik-Experte.
„Im abgebildeten Fall siehst man, dass der Fahrer entweder relativ viel geradeaus bremst oder maximal Kurve fährt. Der Zwischenbereich zwischen der maximalen Bremsung und der Kurvenfahrt ist nicht besonders befüllt. Der Fahrer bremst also wenig in die Kurven hinein. Ich finde das Beispiel ganz anschaulich, nimmt es dem mysteriösen Kamm’schen Kreis doch etwas den theoretischen Charakter und zeigt, das es sich eher um ein Kamm’sches abgeplattetes Ei handelt“, findet Markus.
Den richtigen Kurvenspeed zu finden, erfordert viel Training auf der Strecke. „Wir bei Gedlich Racing gehen im 1:1 Coaching deshalb noch einen Schritt weiter – über eine gesamte Coaching-Sitzung hinweg trainieren wir mittels gezielter Kommandos das Reinbremsen. Das Ziel ist, einen direkten Zusammenhang zwischen der Sensorik des Beins (Muskelspindeln) und dem unbewussten Lenken (bzw. der Blockade dessen) aufzulösen.“
Markus Gedlich hat bei seinen Coachings zudem festgestellt: „Viele Sportfahrer sind oft in langsamen Kurven zu schnell und in schnellen Kurven zu langsam.“ Track-Fahrer sollten sich deshalb zwei Verhaltensweisen angewöhnen:
- „In langsamen und somit meist engen und weit herumführenden Kurven die Bremse sehr lange halten. Dabei bremst man am Anfang, also noch auf der Geraden, hart an. Je weiter man in die Kurve reinfährt, desto mehr lässt man den Bremsdruck nach. Ganz gelöst wird die Bremse aber erst kurz vor dem Scheitelpunkt. So hat man genügend Zeit und Weg, um zu spüren, ob das Tempo schon genug reduziert ist.“
- „In schnellen Biegungen kehrt sich das Spiel um, es wird nur kurz gebremst und nach dem Bremsen gleich wieder Schleppgas angelegt. Eine gute Übung ist das sanfte Bremsen. Dabei bremst man mit gefühlten 50% und nimmt automatisch nicht soviel Tempo heraus, sondern ordentlich Schwung in die Biegung mit hinein“.
Markus Gedlich veranstaltet mit seinem Unternehmen „Gedlich Racing“ Trackdays in ganz Europa, unter anderem auf dem Circuito Ascari und auf dem brandneuen Circuito Espana. Als Tourenwagen- und GT-Rennfahrer setzt er bei seinen Events einen besonderen Schwerpunkt auf intensive 1:1-Fahrercoachings.
Auf Trackdaysport.de gibt Markus als Fahrdynamik-Experte regelmäßig Tipps und Tricks zur Fahrtechnik.