Track Tipps | Schlüsselstellen analysieren und „Kurven opfern“

Jeder ambitionierte Sportfahrer wird irgendwann mit diesen Fragen konfrontiert: Wie findet man die Schlüsselstellen einer Rennstrecke? Und wann sollte man Kurven-Eingangsgeschwindigkeiten zugunsten schnellerer Ausgangsgeschwindigkeiten „opfern“?

Bild: FT Photography

Ex-Rennfahrer und Coach Markus Gedlich erklärt es am Beispiel des Streckenabschnitts Bergwerk auf der Nürburgring-Nordschleife. Der Streckenabschnitt Bergwerk ist für die meisten Nordschleifenfahrer DIE Schlüsselstelle schlechthin, folgt doch danach ein langes, langes Vollgasstück, auf dem man viel Zeit gewinnen oder verlieren kann. Doch ist das Bergwerk wirklich die ultimative Schlüsselstelle oder vielleicht doch nicht?

Wann Kurven-Eingangsgeschwindigkeiten opfern?

Der Streckenabschnitt ist eine Dritte-Gang-Kurve, die in ein langes Bergaufstück mündet. Hier will jeder gut herauskommen und Geschwindigkeit mitnehmen, die es braucht, um mit möglichst hohem Speed den nachfolgenden Vollgaspart fahren zu können. „In diesem Satz steckt aber bereits eine Einschränkung, die die vermeintliche Schlüsselstelle zu einer ganz normalen Rechtskurve degradieren könnte“, bremst Markus. „Denn nur wenn nach einer Schlüsselstelle ein ausreichend langes Vollgasstück folgt, „lohnt“ es sich, an der Schlüsselstelle womöglich etwas Eingangsgeschwindigkeit zu opfern, um am Ausgang optimal schnell zu sein. Also ist das Bergwerk nur dann eine Schlüsselstelle, wenn die nachfolgenden Kombinationen alle voll gefahren werden können.“

Ob dies geht, hängt von einigen Faktoren ab: Fahrzeugleistung, Grip, Streckenkenntnis und nicht zuletzt vom fahrerischen Level. „Wenn all diese Faktoren zusammenpassen und man bis zur Mutkurve voll „auf dem Pin“ stehen kann, dann ist für einen persönlich das Bergwerk eine Schlüsselstelle“, erklärt Markus. „Muss man aber bereits in den seichten Linkskurven am Bergaufstück nach Bergwerk lupfen, so vergessen wir lieber die besondere Bedeutsamkeit des Bergwerks. Diese Erkenntnis ist vital, denn sie kann einem eine Menge Druck nehmen oder einen fokussieren auf die Schlüsselstelle – beides ist gut, denn es schärft das Verständnis für die Strecke und das persönliche Fahren.“

Die Frage nach der Synchronisierungsstelle

Dieses Gedankenspiel gilt im Prinzip für alle vermeintlichen Schlüsselstellen auf allen Strecken. Markus: „Die kritische Frage ist stets die nach der sogenannten „Synchronisierungsstelle“. Das ist die Stelle, ab der alle Fahrvarianten wieder bei derselben Ortsgeschwindigkeit landen, ganz gleich, wie die Fahrtechnik vor der Synchronisierungsstelle aussah.“

Im Falle Bergwerk können das vier Bereiche sein:

1. die seichten Linkskurven nach Bergwerk

2. die schnelle Kesselchen-Linkskurve

3. das Geschlängel vor der Mutkurve

4. die Mutkurve

Je nachdem, welche dieser Stellen man voll fahren kann, lohnt es sich, vom Bergwerk als Schlüsselstelle zu sprechen oder eben nicht. Markus verrät: „Meine Erfahrung aus dem 1:1 Coaching: Wenn das Kesselchen voll geht, dann lohnt es sich auf jeden Fall, das Bergwerk als Opferstelle anzugehen und optimal rauszukommen. Oft auch schon, wenn es nur gelingt, die Linkskurven vor dem Kesselchen voll zu fahren.“


Markus Gedlich veranstaltet mit seinem Unternehmen „Gedlich Racing“ Trackdays in ganz Europa, unter anderem auf dem Circuito Ascari und auf dem brandneuen Circuito Espana. Als Tourenwagen- und GT-Rennfahrer setzt er bei seinen Events einen besonderen Schwerpunkt auf intensive 1:1-Fahrercoachings.

Auf Trackdaysport.de gibt Markus als Fahrdynamik-Experte zusammen mit Moritz Nolte regelmäßig Tipps und Tricks zur Fahrtechnik.